Das Pflegemodell von Liliane Juchli

 

Grundgedanke: Dieses Pflegemodell gilt aufgrund seiner 12 Aspekte als umfassendes Modell des Lebens.

 

Die Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL)

 

Die 12 Aktivitäten des täglichen Lebens charakterisieren das Verhalten des Menschen. Sie hängen in der Weise zusammen, dass ein Problem bei einer Aktivität des täglichen Lebens ein anderes Problem nach sich ziehen kann.
Von der Empfängnis bis zum Tod zieht sich eine Linie, die auch alters- und krankheitsbedingte Probleme mit sich bringt.
In jeder Altersspanne tauchen Defizite auf, die entweder hingenommen werden müssen oder bearbeitet werden können.
Die 12 Aktivitäten des täglichen Lebens werden immer in einem Spannungsfeld zwischen Abhängigkeit und Unabhängigkeit ausgeführt.
Wichtig ist zu differenzieren, welche Aktivitäten allein und welche mit Hilfe ausgeführt werden können. Dabei nehmen immer körperliche, psychologische, soziokulturelle, umgebungsabhängige und politisch-ökonomische Faktoren Einfluss ebenso wie die Individualität
eines Einzelnen. Das gilt zum Beispiel für Häufigkeit und Art und Weise der Verrichtung.

 

Die 12 Lebensaktivitäten werden in zwei Gruppen eingeteilt:

 

a) biologische Notwendigkeiten

 

Atmen, Essen, Trinken, Ausscheiden, Kontrolle der Körpertemperatur, Schlafen, Bewegen, Sterben

 

b) Aktivitäten, die kulturellen und sozialen Einflüssen unterliegen

 

Sich eine sichere Umgebung schaffen und erhalten, kommunizieren, persönliches und

individuelles Waschen und Kleiden, Arbeit und Spiel, Sexualität ausdrücken und ausüben.

 

Unterstützung der ATL's

 

Aufgabe des Pflegenden ist die Herstellung der größtmöglichen Unabhängigkeit bei physischen und psychischen Erkrankungen.

 

1. Wach sein und schlafen:

  • Anpassung an den 24-Stunden Rhythmus im Gleichgewicht von Wachen und Schlafen,

  • Unterstützung bei Störungen des Biorhythmus.

  • Verständnis seiner begrenzten Leistungsfähigkeit

  • Gestaltung des individuell sinnvollen Tag-Nacht-Rhythmus

  • ökonomischen Umgang mit den Kräften, auch in Beziehung zu dem Maß, welches die aktuell zu lebende Lebensphase
    vielleicht als Grenze auferlegt

2. Sich bewegen:

  • Aufrechterhaltung des Tonusgleichgewichtes von Bewegung und Statik

  • Unterstützung und Förderung der Strukturen und Funktionen sowie die Stützung der inneren

  • Ressourcen, d.h. lernen, mit Behinderungen zu leben und sie in den Alltag mit einzubeziehen

  • und Ressourcen finden und fördern, um ein sinnvolles, schöpferisches Leben führen zu können.

3. Sich waschen und kleiden:

  • Verantwortung und Unabhängigkeit für die persönliche Pflege

  • Individuelle Unterstützung beim sich Waschen und Kleiden unter Berücksichtigung der eigenen

  • Selbständigkeit und unter dem Aspekt der Ganzheitlichkeit

4. Essen und trinken:

  • Aufrechterhaltung von genügender Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme 

  • Individuelle Unterstützung, wenn jemand nicht essen bzw. nicht trinken will, kann oder darf;

  • die Hilfe muss situativ, zweckmäßig und gezielt sein sowohl unter Berücksichtigung des Aspektes

  • der Lebensgestaltung und -bewältigung als auch der Art der Kostform

5. Ausscheiden:

  • Regulierung des Ausscheidungsvorganges und Kontrolle der Ausscheidung

  • Die organische Funktion unterstützen, fördern oder ersetzen unter Berücksichtigung des Schamgefühls

6. Körpertemperatur regulieren:

  • Erhaltung der Wärme-Kälte-Regulation

  • Beobachtung und Überwachung der Temperaturwerte und nötigenfalls eine ganzheitliche, situationsgerechte Pflege,
    die sich am Befinden und an der Befindlichkeit orientiert

7. Atmen:

  • Aufrechterhaltung des Lebens durch normale Atmung

  • Atemunterstützende Maßnahmen wie Sauerstoffzufuhr, Oberkörperhochlagerung,

  • Luftbefeuchtung sowie Betreuung und Begleitung im Sinne menschlicher Zuwendung

8. Sich sicher fühlen und verhalten:

  • Verhüten von Risiken, Gefahren und Schäden - Sorge für die Lebenswelt
    Die Unterstützung hat dort einzusetzen, wo ein Mangel besteht (biologisch-physisch, psychisch-geistig).
    Ziel ist es, auftretende Schäden zu beheben; wo dies nicht oder nur teilweise möglich ist, gilt es
    neue Lebens- und Verhaltensmöglichkeiten einzuüben bzw. den Betroffenen auf diesem Weg zu begleiten.

9. Raum und Zeit gestalten - arbeiten und spielen:

  • Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes zwischen Aktivität und Passivität, zwischen Arbeit und Muße, 

  • Beziehung zur Umwelt Unterstützung bei der Wiederherstellung und Zurückführung in ein gesundes Leben.

  • Der Kranke, der auf einer oder mehreren Ebenen in seinem Gleichgewicht gestört ist, wird unterstützt,
    um mit der Fülle der Alltagseinwirkungen zurechtzukommen. Da der gesamte Organismus betroffen ist,
    müssen den Pflegenden die Anpassungs- und
    Bewältigungsmechanismen bekannt sein und bei der Pflege berücksichtigt werden.

10. Kommunizieren:

  • Gleichgewicht zwischen Individualität und Sozialität, sich ausdrücken können. Der Kranke muss Gelegenheit haben
    sich auszudrücken. Da es in der Natur des Menschen
     liegt, dass sich Störungen selbst regulieren,
    werden eigene Ressourcen entwickelt und
     Signale gesetzt; diese Signale gilt es aufzufangen, entgegenzunehmen
    und zu beantworten, dabei sind Ressourcen hervorzulocken und bewusst zu machen

11. Kind, Frau, Mann sein:

  • Aufrechterhaltung der menschlichen Fortpflanzung und des Gleichgewichtes zwischen männlichen und weiblichen Lebensbezügen

  • Der Kranke braucht ein Klima, in dem Frausein bzw. Mannsein eine selbstverständliche Akzeptanz erfährt und Geschlechtlichkeit
    kein Tabu ist, bzw. wo behutsam dem Tabu Rechnung getragen wird:

  • die Pflege des Körpers, auch der Intimpflege

  • die Art des Sprechens, ohne Fachjargon

  • das Miteinanderumgehen; keine geschlechtsneutrale Krankenpflege, sondern Zulassung von Berührung "heilender Zärtlichkeit"

12. Sinn finden im Werden, Sein, Vergehen:

  • Bewältigung von Lebens- und Entwicklungsprozessen, Bezug zu Religion und Ethik, zu Lebensfragen und Sterben. 

  • Der Kranke bedarf unter Umständen der Unterstützung und Hilfe, wenn er infolge eines Gefühls von Sinnlosigkeit
    krank geworden ist oder weil Behinderung oder Tod akzeptiert und integriert werden müssen; 

  • Hilfe zur Sinnfindung setzt Reife des Betreuenden voraus, weshalb die Bemühungen in erster Linie der Bewusstwerdung
    und Selbstwerdung zu gelten haben.

2023  Arbeiterwohlfahrt Frankenthal